Lyrik eines Landstreichers

Vor über 20 Jahren, als wir noch Studenten waren, sah mein Freund Florian einmal einen Landstreicher in der Bielefelder Innenstadt um Geld betteln... und zwar auf so eine berührende und erhebende Art und Weise, dass er sich eine Zeit lang neben ihn setzte und in seinem Sein erleben durfte.
Zum Abschied schenkte das „reine Wesen“ Florian einen mit Schreibmaschine geschriebenen Gedichtband, aus dem ich hier zwei Auszüge zitieren möchte:


Willst Du in der Welt ruhen
Mußt Du den Geschmack der Welt lieben
Willst Du den Geschmack der Welt lieben
Mußt Du ihn kennenlernen
Willst Du ihn kennenlernen
Mußt Du feinfühlig werden
Willst Du feinfühlig werden
Mußt Du allen Widerstand aufgeben
Willst Du allen Widerstand aufgeben
Mußt Du auf dem Fleck sitzen bleiben
Mußt stehen bleiben, wo Du stehst -
das Festgehaltene weicht von Dir
das Unterdrückte gesellt sich zu Dir
Dein Ich stirbt tausend Tode
die Welt wird in Dir geboren.

Das Böse ist nur ein Schein
im Spiegel Deiner Moralen
Zerstörung ist nur ein Schein
im Spiegel Deines Formens
Verlieren ist nur ein Schein
im Spiegel Deines Ergreifens
Dein Weilen ist nur ein Schein
im Fluss der ewigen Bewegung.